
„Meine Frage war immer, was kann ich tun?“
Zum 1. September 2017 hat Anja Sommerfeld die Geschäftsführung am Seminar übernommen. Welche Erwartungen die gelernte Bankkauffrau mit ihrer neuen Tätigkeit verbindet, was sie um- und antreibt – Porträt einer Waldorfbewegten.
Donnerstag, 14 Uhr. Ein halber Arbeitstag liegt bereits hinter ihr, nun beginnt für Anja Sommerfeld der zweite Job. Seit September verbindet die 49-Jährige ihre Tätigkeit bei der UniCredit Bank AG mit ihrer neuen Geschäftsführeraufgabe im Seminar und für die Hamburgische Vereinigung der Waldorfkindergärten.
Bank- und Waldorfwelt scheinen auf den ersten Blick eher gegensätzlich zu sein. „Sie sind zwar komplett unterschiedlich, haben aber beide in meinem Leben ihre Berechtigung“, sagt Anja Sommerfeld. Dem Bankberuf hält sie seit ihrer Ausbildung die Treue. „Eigentlich wollte ich ja Wirtschaftsjournalistin werden. Und dann kam dieses interessante Angebot von der Deutschen Bank.“ Die junge Frau wurde Bankfachwirtin, absolvierte eine Ausbildereignungsprüfung und arbeitete in verantwortlicher Position im Kundengeschäft. Mit der Mutterrolle wechselte sie dann in eine Teilzeit-Tätigkeit. „Jetzt, wo die Kinder größer sind, habe ich Zeit für neue Aufgaben. Und wenn ich am Seminar Präsentationen der Studenten miterlebe, geht mir das Herz auf, weil ich so viel Sinnhaftigkeit insgesamt hier sehe. Das gibt ganz viel Kraft und ist eine stärkende Tätigkeit.“
Ausgleich und Anregung holt sich die zweifache Mutter beim Yoga, Skifahren, Kochen und – seit frühester Kindheit – beim Lesen. An ihrem Bett liegen gleich mehrere Bücherstapel. „Nicht immer zwingend Rudolf Steiner“, erzählt sie und lächelt. Auf den Waldorfgeschmack kam die Familie Sommerfeld durch die älteste Tochter. Die bekam im zweiten Anlauf einen Kindergartenplatz. „Ich war begeistert von der Atmosphäre, von den Rhythmen, den Tagesläufen und Festen, von der Ernsthaftigkeit mit der die Erzieher den kleinen Persönlichkeiten begegneten“, erinnert sich Anja Sommerfeld. Was kann ich zurückgeben, war für sie deshalb eher Antwort als Frage. Sie engagierte sich im Vorstand, zunächst im Kindergarten, später in der Rudolf Steiner Schule Nienstedten. „Ich finde es großartig, was den Kindern auf den Lebensweg gegeben wird und wie sie sich entwickeln. Das zu unterstützen ist mir ein großes Herzensanliegen.“
Aus der Arbeit im Vorstand weiß Anja Sommerfeld, vor welchen Herausforderungen die Schulen stehen. Lehrermangel und überalterte Kollegien sind die ersten Stichworte, die dabei fallen. „Die Lehrerbildung ist deshalb von immenser Wichtigkeit und hat eine wahnsinnig große Bedeutung für die Region. Sich da zu engagieren und zu gucken, wie wir sicherstellen können, dass Waldorfpädagogik auch wirklich gelebt werden kann und weiter vorangeht, finde ich wichtig.“
Nun also nicht nur Vorstands-, sondern auch Geschäftsführungsarbeit. Diskussionen über die Sonderrolle von Frauen interessieren Anja Sommerfeld dabei nicht, die geschäftsführende Tätigkeit versteht sie pragmatisch. Waldorf lebe von Selbstverwaltung und Selbstführung. „Die Verwaltung des Seminars ruht auf ganz vielen Schultern und das finde ich sehr schön. Ich habe Ansprechpartner, die jahrelang dabei sind und ich erlebe hier eine gemeinsame Führungskultur.“ Jetzt heißt es erst einmal, sich in die neue Aufgabe einzuarbeiten. Und dann möchte die Waldorfbewegte natürlich ihren Beitrag zur weiteren Entwicklung des Seminars leisten. Warum so viele Waldorf-Schulabsolventen zumindest erstmal nicht Waldorflehrer werden, frage sie sich. „Woran liegt das und ist es überhaupt erstrebenswert, sofort den Anschluss zu finden? Oder sollten sich Schüler erstmal abnabeln, bevor sie als Lehrer in den Schulbetrieb einsteigen?“ Mit viel Energie und Engagement spricht Anja Sommerfeld solche Themen an.
Angeregt durch Kunstbetrachtungen und Kurse für Malerei, die an der Schule auch für Eltern angeboten wurden, stellt sie sich auch schon mal an die Staffelei, um den Kopf frei zu bekommen. Ohne Ambition und „ohne Talent“, wie sie behauptet. So ganz mag man das dieser Frau mit dem wachen Blick nicht glauben. Auf jeden Fall hat sie durch die Kunst die Freude am Perspektivwechsel entdeckt. Und vielleicht liegt ihr auch deshalb so viel daran, in der Zusammenarbeit Bewusstsein und Verständnis füreinander herzustellen. Dinge, wenn nötig aus einer emotionalen Ebene wieder auf eine Sachebene zurückzubringen, ohne die emotionalen Aspekte zu vernachlässigen, darin sieht Anja Sommerfeld eine weitere Aufgabe. „Ich bin einfach gerne mit Menschen zusammen und gucke auf das, was den Menschen so besonders macht.“