
Fünf Fragen an....

“Lehrer sind Erfinder.”
Interview mit Christoph Bai, Klassenlehrer und Fachlehrer für Theater an der freien Waldorfschule Schwerin.
Christoph Bai, welche Bedeutung hat Theaterpädagogik für Sie?
Als ich anfing, mich mit Theater zu beschäftigen, war mein Impuls zunächst, emotionale Innenwelten zum Ausdruck zu bringen und in andere Rollen hineinzuschlüpfen. Ich habe dann im Studium der Theaterpädagogik schnell gemerkt, dass es bei den Aufgaben, die auf einen als Theaterpädagoge warten, u.a. um die Erschaffung einer in sich stimmigen und zu belebenden Welt geht. Theaterpädagogik kann also weitaus mehr, als emotionale Innenwelten nach außen zu tragen.
Hat Theaterpädagogik also generell mit dem Lehreralltag zu tun?
Im Lehreralltag geht es tagtäglich darum, in Rollen zu schlüpfen. Vor allem der Klassenlehrer muss in allen Temperamenten zuhause sein. Er muss einem Kind, das vielleicht vordergründig Strenge herausfordert, gütig begegnen können, weil er das Kind mit seinen Augen zu betrachten versucht. Oder er muss einem Kind streng begegnen, das ihm persönlich sehr nahe steht. Pädagogen schleppen also ständig einen Kleiderschrank mit sich herum. Aus der Qualität der Pädagogik heraus sollte der Lehrer fähig sein, sich den Mantel zu nehmen, den die Situation gerade erfordert. Das kann der Mantel des klaren Geistes, ebenso sein, wie der humorvolle Frohsinn, der liebevolle, gütige Mantel oder, wenn es angebracht ist auch der Mantel der Strenge oder des gerechten Zorns. In meinem Kleiderschrank liegen bestimmt zehn, elf Mäntel und ich muss sie immer wieder sauber halten.
Lehrer sind aber auch Erfinder, die permanent schauen, wie sie ihren Unterricht entwickeln. Sie sind ständig schöpferisch tätig, ob es darum geht, eine Epoche, den Jahreslauf zu gestalten oder eine Klasse von 1- 6 bzw. von 1 – 8 zu führen. Das ist sehr nahe an den Fähigkeiten, die man als Regisseur oder Inszenierender braucht und von denen ich im Lehreralltag nur profitieren kann. Ein ganz wichtiger Schatz für die Arbeit des Regisseurs ist: Ich muss die Zusammenhänge sehen lernen, ich muss die inneren Notwendigkeiten des Kunstwerkes erspüren, den roten Faden finden und dem Kunstwerk als Geburtshelfer dienen. All das hilft mir als Lehrer für meinen Unterricht oder für die Entwicklung meiner nächsten Epoche auch.
Worum geht es beim Inszenieren?
Beim Inszenieren geht es für mich darum, das Kunstwerk als wesentlich wahrzunehmen. Ganz gleich, ob es sich dabei um eine Skulptur, ein Bild, ein Theaterstück, um eine Klasse oder um den Unterricht handelt, in jedem Fall ist das Kunstwerk ein lebendiges Wesen. Wenn ich diesem Kunstwerk begegnen will, habe ich die Aufgabe, ihm einen Körper, einen Rahmen, einen sinnlichen Fokus zu geben, Ihm sozusagen einen Mantel zu schneidern. Und dazu frage ich, was braucht dieses Kunstwerk, um in der Welt zu erscheinen, was will dieses Kunstwerk in der Welt und wenn ich demütig genug bin, dann weiß ich, dass das Kunstwerk eigentlich mehr weiß als der Künstler. Und dann lerne ich, dass ich mich dem Kunstwerk gegenüberstellen kann, es von allen Seiten betrachten kann, dass ich mich aber auch in das Kunstwerk hineinbegeben kann und es von innen befragen kann: Was braucht das Stück oder dieser Unterrichtsmoment. Es geht darum, den Blick zu schärfen, vielschichtige Ebenen und Zusammenhänge wahrzunehmen oder überhaupt das Kunstwerk als polyphones Ereignis zu betrachten.
Sie haben zahlreiche Klassenspiele inszeniert und Profilkurse für Oberstufenschüler gegeben. Welche Rolle spielt das Inszenieren von Stücken?
Bei einem Autor wie Shakespeare, der vor vielen Jahrhunderten mit seinen Stücken Inhalten eine Form gegeben hat, ist es notwendig diesem Stück eine Haut zu schneidern, die unserer Zeit entspricht. Wir versuchen also, die passende Form für den ewigen Inhalt zu finden. Mit den Möglichkeiten der Theaterpädagogik lassen sich aber auch eigene Stücke entwickeln, sozusagen den Inhalt mit den Schülern gemeinsam auf die Welt bringen mit den Lebensthemen und Lebensverhältnissen in denen die Schüler heute stehen. Das bedeutet, Inhalte neu zu entwickeln in einer Sprache, die nicht beliebig ist, aber im Zeichen der heute lebenden künstlerischen Zeitzusammenhänge steht. Da kann man viel mit Technik machen z.B. mit kreativem Schreiben, es kommt aber vor allem auf das künstlerische, sinnstiftende Gespür an, und das wollen wir bei dem Fortbildungsmodul entwickeln. Das gemeinsame Gespräch und der künstlerische Austausch bekommen natürlich auch Raum, weil viele Teilnehmer auch ihre Erfahrungen mitbringen.
Und was steht beim Thema Schauspiel im Mittelpunkt der Fortbildung?
Zum einen geht es darum, Schauspieltechniken, also den Handwerkskasten zu erweitern. Die Übungen geben den Teilnehmern Möglichkeiten an die Hand, die Fähigkeiten der Schüler am Schauspiel auszubilden und die Freude am Improvisieren zu wecken. Zum anderen geht es darum, in eine Rolle zu schlüpfen. Wenn ich nicht weiß, wie sich das anfühlt, kann ich das mit Schülern auch nicht richtig vollziehen. Ähnlich wie beim Kunstwerk gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, zu gucken, was eine Figur, die sich aus der Rolle und der Persönlichkeit des Schauspielers zusammensetzt, braucht. Je nach Schauspieler kann diese Figur immer anders sein. Auch dafür gibt es Techniken, die wir gemeinsam erarbeiten werden. Hilfreich sind diese Techniken nicht nur bei den großen Klassenspielen in der 8. und 12. Klasse. Es gibt einen reichen Kanon an Theaterspielmöglichkeiten im Klassenlehrerbereich aber auch im musikalischen und Fremdsprachen-Bereich.
Vielleicht machen die Fortbildungen dem einen oder anderen Mut, die Mittel des szenischen Arbeitens stärker in den Unterricht zu integrieren. Beim Theaterspielen steht man mit seinem ganzen Wesen im Lernen, und zwar nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit der Seele und dem Geist. Und wer das tut, ist motiviert. Deshalb lieben die Schüler es so und sind begeistert auf der Bühne tätig. Deswegen ist das Theater durchaus ein Mittel, das für viele Unterrichtsformen nicht oft genug eingesetzt werden kann.
