Wenn Wände sprechen könnten

Debütroman

Reise in die eigene Jugend

Einen „Erzähler aus Passion“ hatten wir unseren ehemaligen Seminaristen Mathias Mainholz in einem Porträt genannt. Jetzt hat der Klassenlehrer an der Rudolf Steiner Schule Nienstedten für seine Schülerinnen und Schüler einen Roman geschrieben. Und damit nicht nur seine Klasse begeistert.

Johannas Geschichte beginnt mit einem Geheimnis. „Mir war eins klar: Was jetzt geschah, durfte niemals, um keinen Preis der Welt irgendwie bekannt werden.“ Johanna kann Stimmen hören. Unter Wasser, in der Badewanne. Nicht nur die Stimmen ihrer Familie aus dem Nebenraum, sondern auch die Selbstgespräche eines Mädchens, das sie nicht kennt. Um herauszufinden, woher die Stimme kommt, bittet die 14jährige den größten Sonderling ihrer Klasse Fabian, um Hilfe. Und der sitzt nun bei ihr auf dem Badewannenrand.

Johanna ist die Protagonistin in Mathias Mainholz Debüt „Schallwellen“. Wenn Wände sprechen könnten, was würden sie wohl erzählen? Das Gedankenspiel beschäftigt Mathias Mainholz schon lange. Weil Geschichte(n) ihn seit dem Studium interessieren, weil der Altbau, in dem er lange in Ottensen lebte, seine Neugier weckte.

Was ist wohl alles in einem Haus, das 1908 in Hamburg gebaut wurde, das zwei Kriege überlebt hat, passiert?

Dass in Räumen und Wänden etwas von dem Leben, das vorher da war, steckt, diese Idee liegt dem Roman zugrunde.

Nachdem Fabian im Physikunterricht gefragt hatte, ob es möglich sei, Gespräche von früher hörbar zu machen, erzählt Johanna ihm von der Mädchenstimme.

Nun stellte ich mir vor, wie der Schall ihrer Gespräche in die Wände gedrungen war und dort irgendwie Spuren hinterlassen haben sollte. Das klang komisch.

Die beiden versuchen, die Selbstgespräche zu protokollieren. Aus dem kleinen Experiment entwickelt sich eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Gemeinsam mit der schrillen Klassenkameradin Luise begeben die beiden sich auf eine abenteuerliche Spurensuche. Sie führt die drei Jugendlichen in das Haus einer alten Dame am Jungfrauenthal im noblen Hamburger Harvestehude – und in die Zeit des Nationalsozialismus.

Die Romanvorlage für die Villa und ihre Bewohnerin Erika stammen aus dem direkten Umfeld des Autors. Die Tante, Ehefrau eines Halbjuden, hatte der Familie viel über die Verfolgung der Juden erzählt.

Das Haus war so voller Geschichten, dass ich angefangen habe, für unsere Tante zu recherchieren. Es ist doch verrückt, dass man an einem Haus in einer so schicken Gegend vorbeigeht und keine Ahnung hat, wie hier Juden zusammengepfercht gelebt haben.

Mathais Mainholz mischt im Roman Mystisches mit Realhistorischem. Auch Johanna, Fabian und Luise suchen in Archiven nach der Existenz des rätselhaften Mädchens. Dabei stoßen sie auf Rosas Geschichte, die sie immer weiter in ihren Bann zieht. Das Buch hat der Autor und Klassenlehrer seinen Schülern und Schülerinnen der 8. Klasse der Rudolf Steiner Schule Nienstedten gewidmet. Obwohl das Thema Holocaust in dieser Klassenstufe noch nicht angesiedelt sei, habe er eine Tür öffnen wollen, so Mainholz. Eine Tür, durch die 14jährige gehen können, ohne gleich belastet zu sein, um sich später intensiv mit dem Thema auseinandersetzen zu können.

„Schallwellen“ ist aber auch ein Entwicklungsroman. Johannas Schilderungen ihrer Selbstzweifel, ihrer widersprüchlichen Gefühle und ihrer ersten zarten Liebeserfahrungen sind vielleicht sogar das eigentliche Thema dieses Buches. Das aufregende Alter der 14-15jährigen, diese schwindelerregende Mischung aus Lebensfreude und Verzagtheit, kennt der Vater dreier Töchter aus nächster Nähe. Das Schreiben sei aber auch eine unglaublich schöne Reise in die eigene Jugend gewesen, sagt der 53-jährige.

Auch beim Lesen ist die Freude, sich in diese Lebensphase, in die Jugend gedanklich hineinzuversetzen zu spüren. Hat sie doch immer etwas mit der Frage zu tun, was uns bewegt, Neues zu wagen. Mathias Mainholz zeichnet dabei starke Bilder. Überhaupt merkt man, dass der ehemalige Journalist das Erzählen und Formulieren liebt. „Schallwellen“ ist ein berührend, manchmal beklemmend, aber immer beglückender Debütroman.