Reise in die Welt des Theaters

Protokoll eines Quereinsteigers

Die Theaterepoche 2022 kündigte sich mit einer Art Raunen an. Zum Einen waren da die Dozentinnen, die ihre Augenbrauen bei diesem Thema etwas höher als sonst hoben, zum Anderen die Seminaristinnen, die selbst Waldorfschulen besucht hatten und etwas zwischen Vorfreude und Anspannung ausstrahlten.

Für den unbedarften Quereinsteiger schien der Plan etwas überambitioniert: Innerhalb drei Wochen ein komplettes Theaterstück mit Bühnenbild, Kostüme, Maske und Technik auf die Beine zu stellen, klang zumindest nach Überstunden.

Auf der anderen Seite hatten wir mit Roswitha Meyer-Wahl eine erfahrene Schauspielerin und Sprachgestalterin, die nicht das erste Theaterspiel auf dem Regiestuhl saß.

Das Vorspiel

Vor der eigentlichen Epoche hatten wir an sieben Tagen die Möglichkeit, uns mit dem Theaterstück vertraut zu machen, die Rollen und Aufgabengebiete zu verteilen.

Frau Meyer-Wahl schlug das Theaterstück „Himmelwärts“ von Ödön von Horwarth vor. Selten gab es in diesem Kurs weniger Diskussionen über einen Vorschlag.

Das Stück ist eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem Wunsch des Menschen nach Erfolg. Verkaufe ich meine Seele um berühmt zu werden? Allzeitaktuell.

Zur Einstimmung lasen wir das Stück mit verteilten Rollen. Anschließend ging es an die Charakterisierungen der Figuren. Wie stellen wir uns den Teufel vor, was trägt der Intendant, wie verhält sich der Vizeteufel gegenüber den Verdammten, spricht Petrus Dialekt, und wenn ja, welchen? Zu jeder Figur versuchten wir ein Bild zu formen, das jede in der Gruppe mittragen kann. Tatsächlich entwickelte sich dadurch zum ersten Mal eine Vorstellung davon, wie dieses Theaterstück später einmal aussehen könnte – es wurde natürlich trotzdem ganz anders.

Problematisch in einem Theaterspiel ist die Besetzung der Rollen. Nicht jede Seminaristin kann die Wunschrolle bekommen. Dafür wählten wir eine Kommission, die die Rollenauswahl vornahm. Dann ging es an die Aufgabengebiete: Bühnenbild, Kostüme, Maske, Musik, Technik, Plakatdesign, Beleuchtung und Regieassistenz wurden verteilt. Auch das ging wie von selbst. Überhaupt fiel auf, dass das gemeinsame Ziel eine sehr konstruktive Grundstimmung erzeugte. Die übrige Zeit nutzten wir schon einmal für das erste Proben der Szenen, natürlich mit Text in der Hand und ohne Bühne.

Die Epoche beginnt

Am 02. Mai ging es dann los: Den ganzen Tag Theater. 17 Tage bis zur Aufführung und wir hatten weder Bühne, noch -bild, geschweige denn eine funtionierende Technik in puncto Musik und Bühnenbeleuchtung. Es wurde daraufhin geschäftig. Die mächtige Kraft des Faktischen ließ uns manche nette Idee verwerfen.

Während die einen Studentinnen schon gut in ihre Rolle kamen, waren andere deutlich unsicherer und zaghafter. Hier kam Frau Meyer-Wahl und der aufkeimende Ehrgeiz der Studentinnen ins Spiel:

Erstens will sich keiner vor seinen Freunden und Verwandten blamieren, schon gar nicht vor Schülerinnen, die einen schon als Lehrerin kennen. Zweitens hat die Regisseurin ein Händchen dafür, aus Menschen Seiten herauszukitzeln, die sie selbst noch gar nicht kannten.

Vor allem diejenigen, die sich am Anfang schwer taten, brillierten mit einer erstaunlichen Lernkurve. Diese Fortschritte kamen buchstäblich über Nacht und ließen manche staunen, häufig über sich selbst.

Kleine Anmerkung: Selten wird deutlicher, wie sich die intensive Auseinandersetzung mit neu Erlerntem in der Nacht verfestigen kann. Beim Schauspiel ist das förmlich zum Greifen.

Viel Zeit geht auch jetzt schon für das Organisatorische drauf: Die Auswahl des Plakates, ein Einladungstext für Schulen. Auch die Kostümabteilung arbeitet auf Hochtouren und stellt den Fundus mehrere Male auf den Kopf. Nach dieser Woche herrscht erst einmal die Erschöpfung vor. Wie das alles bewältigt werden soll, ist den meisten schleierhaft.

Es wird spannend

Am Anfang der Woche wurde in erster Linie das Bühnenbild fertiggestellt. Himmel, Hölle und Erde bekamen ihre farbige Ausgestaltung, die Scheinwerfer an der Decke wurden ausgerichtet.

Bei den Proben versuchten wir die Texte auswendig aufzusagen. Das funktionierte unterschiedlich gut. Während die einen mühelos mit ihrem Text zurechtkamen und eigentlich auch schon die Texte ihrer Partner mitsprechen konnten, stolperten andere an immer denselben Stellen. Hier allerdings zeigte sich das Ensemble als selbstlernende Gruppe: Szenen, die nicht gut liefen, wurden einfach immer wieder geübt, auch ohne Ansage der Regie.

Am Ende der Woche dann der erste Durchlauf. Es klappte nicht wirklich viel.

Die Musik war entweder zu leise, zu spät oder kam gar nicht. Beim Szenenwechsel herrschte eher Orientierungslosigkeit und die Texte saßen größtenteils alles andere als sattelfest.

Gleichzeitig wurde die Stimmung deutlich ernsthafter und angespannt. Es zeigte sich, dass wir die Abläufe noch überhaupt nicht beherrschen und ohne zusätzliche Proben kaum ein ansehnliches Theaterstück hinzubekommen war.

Unendliche Tiefen und Höhen

Bei der Musik ziehen wir die Notbremse. Es kommt eine analoge Stereoanlage zum Einsatz. Die kennt keinen Stand-by und hat praktische Drehregler zum Ein-und Ausblenden, das nennt man, glaube ich, Fortschritt.

Bei den Proben wurden Fehler nur noch zähneknirschend verziehen, jede Studentin ging mit dem Druck der nahenden Aufführung anders um. Manche wurden leiser, andere suchten ein Ventil, um mit ihrer Frustration umzugehen.

Zum absoluten Tiefpunkt wurde die technische Probe, bei der nur die Auf-und Abgänge geprobt werden, inklusive Kostümwechsel, Musikeinsätze und Umbauten. Es funktionierte nicht wirklich etwas richtig gut. Im Gegenteil, Roswitha Meyer-Wahl ließ sich zu einem (gut gespielten) Theaterdonner herab, der das Ensemble noch einmal gehörig aufgerüttelt hat.

Die Generalprobe mit Publikum machte ihrem Namen schließlich alle Ehre und hatte vor allem mit Problemen technischer Natur zu kämpfen. Bis auf die Umbaumusik kamen alle Einspielungen zu spät oder waren zu leise. Noch schlimmer: Die Beleuchtung fiel aus und das Saallicht musste angemacht werden. Da die Szenenwechsel eigentlich immer durch das Erlöschen der Scheinwerfer angekündigt wurden, wussten wir Schauspielerinnen nicht mehr, wann wer eigentlich dran war.

Am 20. Mai war es dann soweit, der Saal war ziemlich voll. Unsere Spannung erreichte noch einmal einen Höhepunkt. Und tatsächlich: Wir konnten alle Fehler aus der Generalprobe in der Hauptaufführung vermeiden. Kurzum, das Stück lief wirklich gut und Freunde und Verwandte staunten über ein doch recht professionell wirkendes Theaterstück, das eine Laienspielschar innerhalb von drei Wochen auf die Beine gestellt hatte. Wir Schauspielerinnen waren vor allem stolz und erleichtert.

Fazit: Zwei Denkmale.

Eines für die Theaterepoche und eines für Roswitha Meyer-Wahl

Dass wir am Seminar das Theaterspiel nicht nur aus Jux und Dollerei veranstalten, versteht sich von selbst. Für die angehenden Klassenlehrer ist dies eine gute Möglichkeit, sich vor allem in die technischen und organisatorischen Belange des Klassenspiels hineinzufinden.

Insgesamt ist die Theaterepoche ein pädagogisches Glanzstück.

Denn all die großen und kleinen Dramen, Frust, Verzweiflung, Euphorie und Stolz haben sich im Endeffekt in ein großes Gruppenereignis verwandelt, an dessen Ende eine tiefe Befriedigung über das gemeinschaftlich Erreichte steht.

Das fördert den Zusammenhalt einer Gruppe und das konnte jede im Kurs spüren und erleben. Bei Schülerinnen ist das nicht anders. Vor allem die selbstlernenden Situationen und das ernsthafte Engagement wenn die Aufführung naht, kann unter pädagogischen Gesichtspunkten nicht hoch genug geschätzt werden.

Doch es darf auch nicht unterschlagen werden, dass unser Theaterprojekt ohne die unermüdliche Arbeit von Roswitha Meyer-Wahl niemals diese Qualität erreicht hätte. Sie war die ganze Zeit über bestes Vorbild und immer da, wenn für die Proben ihre Hilfe gebraucht wurde – auch völlig außerhalb der Studienzeiten.

Ihrem Engagement und ihrer Freude kann man sich sowieso nur schwer entziehen. Roswitha Meyer-Wahl geht zum nächsten Schuljahr in den Ruhestand. Es bleibt zu hoffen, dass sie überredet werden kann, vielleicht noch die eine oder andere Theaterepoche zu übernehmen.